Jeder Mensch wird von sogenannten Antriebsverstärkern angetrieben - das sind salopp gesagt gute (positive) oder schlechte (negative) Gründe, warum man eine Handlung aufnimmt. Die Gründe können entweder durch äußere Umstände (vor allem andere Personen) eintreten (= extrinsisch), oder aus sich selbst heraus erzeugt werden (= intrinsisch). Gute Gründe bewirken "wollen", schlechte Gründe bewirken "müssen".
Es gibt extrinsisch-positiv (z.B. Lob/Bezahlung), extrinsisch-negativ (z.B. Drohung/Kontrolle), intrinsisch-positiv (z.B. Stolz/Selbstbelohnung) und intrinsisch-negativ (Schamgefühl, selbst festgelegte Fristsetzungen)
Extrinsisch-negativ funktioniert dabei mit Abstand am schlechtesten, wird aber zugleich in unserer Gesellschaft am häufigsten genutzt. Intrinsisch-negativ ist meistens ein Versuch, die von anderen erlernte Art Antrieb zu erzeugen, für sich alleine fortzusetzen. Der Betroffene treibt sich dabei meistens in der Du-Form an oder beleidigt sich sogar selbst in der Du-Form. "Komm, jetzt spül endlich mal das Geschirr!" oder "Mann, du hast schon wieder nicht das Geschirr gespült, du Depp..."
Wer so etwas tut, der hat es höchstwahrscheinlich in der Vergangenheit häufig so von anderen gehört.
Wer Antrieb nicht aus sich selbst heraus erzeugen kann, der ist darauf angewiesen/davon abhängig, dass externe Faktoren (wie andere Menschen) positiv oder negativ auf ihn einwirken, damit er eine Handlung aufnehmen kann. Dies nennen wir "Fremdbestimmung."
Wer ausschließlich negativ motiviert wird (durch Druck, Angst und Scham), der wird dagegen zunehmend "resistent", und nimmt die Handlungen deshalb immer unwilliger auf. Da er sie aber trotzdem bisweilen aufnimmt, wird das als "Erfolg" bewertet, und die Methode wird beibehalten. Da der Betroffene immer unwilliger wird, müssen die negativen Antriebsfaktoren ständig verschärft werden. Dieser Teufelskreis ist für beide Seiten extrem frustrierend.
Inzwischen gibt es einen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass ausschließlich negative Motivation auf Dauer dazu führt, dass die Leistungsbereitschaft (der Antrieb) abnimmt. Das Phänomen nennt sich "das Transparenz-Paradoxon". Wir haben darüber einen ausführlichen Artikel im internen Forenbereich. An dieser Stelle soll genügen: Wenn wir mit dem Leistungsumfang, der uns zugemutet wird, nicht einverstanden sind (weil es viel zu viel ist, oder weil der Aufwand in keinem gesunden Verhältnis mehr zum Lohn der Bemühungen steht), fühlen wir uns unterbelohnt (unterbezahlt, nicht ausreichend wert-geschätzt...) Dann versuchen wir einen Weg zu finden, das Pensum zu reduzieren. Wird uns das nicht erlaubt (von anderen, von uns selbst, von einer Deadline), dann fangen wir an zu mogeln: Wir reduzieren die Aufgabe in Teilen. Zum Beispiel, wenn wir den Boden wischen müssen, und dafür eigentlich zwei Stunden brauchen würden, reduzieren wir die Arbeit auf eine Stunde, aber um dann fertig zu werden, müssen wir Ecken/Fußleisten/Bereiche, die man nur auf Knien und mit einem Schwämmchen von Hand reinigen kann, auslassen, wir wechseln das Wischwasser nicht mehr so häufig, wir verschieben bestimmte Gegenstände nicht, um auch darunter zu wischen. Dann schaffen wir zwar die grundsätzliche Vereinbarung "Boden wischen" in der halben Zeit, sind aber mit dem Ergebnis nicht wirklich zufrieden - weil wir wissen, dass wir gemogelt haben. Die Aufgabe wurde also nicht korrekt zum Abschluss gebracht, es gibt kein echtes Erfolgserlebnis, und es wird kaum oder gar kein Dopamin ausgeschüttet. Beim nächsten Mal haben wir dann noch weniger Lust, Boden zu wischen, weil wir wissen, dass es eine Stunde anstrengende Arbeit bedeutet, die uns kein Erfolgserlebnis beschert. Dadurch fangen wir an, die Arbeitszeit noch weiter zu verringern, bis wir den Boden in zwanzig Minuten wischen, dann nur noch die Bereiche, die am schlimmsten aussehen, oder die jemand anderer zu Gesicht bekommen könnte, vor dem wir uns schämen würden (also weil uns extrinsisch-negative Verstärker dazu antreiben, dieses absolute Minimum zu erfüllen), und unter bestimmten Umständen (wenn es keine extrinsischen, negativen Antriebsverstärker mehr gibt), putzen wir den Boden gar nicht mehr.
In anderen Situationen schummeln wir Pausen in die Arbeitszeit, z.B. durch privates Surfen im Netz während des Bürojobs. Oder man geht häufiger auf die Toilette. Wir nehmen uns die Belohnung vor der Arbeit, während der Arbeit oder spätabends, wenn wir eigentlich schlafen sollten, z.B. wenigstens noch einen Film gucken, "weil man ja sonst gar nichts mehr vom Tag hat". Am nächsten Morgen sind wir entsprechend müde und unkonzentriert.
Entscheidend ist, dass wir unser Mogelverhalten vor uns selbst rechtfertigen. Wir wissen, dass wir bescheißen, aber wir finden es unter den gegebenen Umständen gerechtfertigt, dass wir mogeln (bzw handwerklich pfuschen).
Einige Menschen finden ein ganz anderes Schlupfloch, ihre Arbeit zu reduzieren oder ganz bleiben zu lassen: wenn sie krank sind. Die Folge ist dann, dass sie sich kleinen Befindlichkeiten hingeben. Ein bisschen Kopfschmerzen oder ein vages Schlappheitsgefühl reichen dann als "Ausrede vor sich selbst", um sich ins Bett zu legen und Dinge nicht tun zu müssen, die man nicht tun will. Wenn man mit dieser Strategie Erfolg hat, und dafür Aufmerksamkeit und Fürsorge bekommt (und nicht putzen und schuften muss), führt das dazu, dass die Strategie häufiger an den Tag gelegt wird. Wenn man nicht wegen Wehwehchen in der Arbeit fehlen darf, oder die Mitbewohner/Familie es nicht akzeptieren, dass man sich wegen diffuser Regelschmerzen oder Kopfschmerzen ins Bett legt, müssen ernsthaftere Symptome her. In diese kann man sich hineinsteigern, so dass man echte Bindehautzentzündung, Blutdruckprobleme, Durchfall oder sogar ein Magengeschwür bekommt. Ich weiß, wovon ich rede, ich habe das gemacht. Als ich meine Arbeit im Einzelhandel hasste, hatte ich ständig Bindehautentzündung, Durchfall und Migräne. Am Anfang habe ich meine Chefin am Telefon belogen, wenn ich keinen Bock hatte arbeiten zu gehen. Dann irgendwann dachte ich, ich kann jetzt nicht schon wieder lügen, und prompt hatte ich echte Bindehautentzündung, echte Grippe, und sah aus wie der lebende Tod, bin hingegangen, um ihr zu demonstrieren, wie verheerend ich aussehe, und dass ich mich trotzdem auf die Arbeit schleppe (guter Wille und so), und ließ mich von ihr heimschicken. Ich saß noch nicht wieder im Bus, da ging es mir bereits wieder gut. Wenn mir jemand gesagt hätte, dass ich simuliere, wäre ich beleidigt gewesen. Die Symptome fühlten sich so echt an wie es nur sein kann. Trotzdem waren sie sofort verflogen, wenn die Last, arbeiten gehen zu müssen, von mir abgefallen war.
Diese abnehmende Leistungsbereitschaft wird von den meisten Betroffenen mit schrumpfender Leistungsfähigkeit verwechselt. Man fühlt sich immer schlapper und träger, müder, unkonzentrierter, frustrierter. Und ja, man steigert sich in diese negativen Gedanken hinein - als letzter Ausweg, gewissermaßen. Eine Lüge, die so überzeugend ist, dass man sie sich selbst glaubt. Man lebt ständig in einem inneren Widerspruch, der da lautet: "ich will ja, aber ich kann nicht!" Man weiß nicht, warum man nicht kann, obwohl man doch unbedingt will. Zum Beispiel will man unbedingt den ganzen Müll aus dem Haus haben, aber irgendwie kann man nicht aufstehen und ihn jetzt raustragen. Es ist wichtig, diesen Widerspruch aufzudecken und sich bewusst zu machen "ich belüge mich gerade selbst: Eigentlich könnte ich schon, ich will aber nicht!". Es ist kein Verbrechen, sich selbst belogen zu haben. Es ist gewissermaßen Notwehr, weil die Arbeiten mit schlechten Vereinbarungen nicht erträglich/schaffbar sind. Wäre mein Job nicht so furchtbar gewesen - oder wenigstens sehr viel besser bezahlt - hätte ich keinen Grund gehabt, mich davor zu drücken. Wäre die Arbeit im Haushalt nicht so furchtbar - oder würde sich wenigstens mehr lohnen - gäbe es keinen Grund, sich vor ihr zu drücken.
Man muss also nicht sich selbst ändern ("einfach mal aufhören, faul zu sein"), sondern seine Arbeitsbedingungen verbessern: Wie man an etwas arbeitet, wie lange man daran arbeitet (wann man aufhören kann), und was man dafür bekommt.
Wenn man dieselbe Arbeitsmethode beibehält, und ständig versucht, sich selbst zu ändern - obwohl einem das nie gelingt, tut man etwas, das der Einsteinschen Definition von Wahnsinn entspricht: Man wiederholt sein Verhalten immer wieder auf die exakt gleiche Weise, und hofft weiterhin darauf, ein besseres Ergebnis zu erzielen. Also wenn man sich schon tausendmal vorgenommen hat, ab morgen alles besser zu machen - und es ist tausendmal nicht besser geworden - dann wird es allerhöchste Zeit, sich davon zu verabschieden, dass diese Art von Vereinbarung mit sich selbst irgendwann doch etwas nutzen könnte, wenn man es sich nur oft genug oder fest genug vornimmt.
Denn nicht nur, dass es nicht zu dem gewünschten Ergebnis führt, sondern man verschlimmert damit alles. Durch die ständig gebrochenen Vereinbarungen mit sich selbst zerstört man sein Vertrauen in sich selbst. Der unerledigte Berg wird immer größer. Man braucht also immer mehr Antrieb, obwohl man immer weniger Antrieb hat. Dann kommt irgendwann bei vielen ein Moment, in dem sie unbedingt handeln müssen - z.B. wenn sich der Vermieter ankündigt, oder wenn Handwerker ins Haus müssen. Dann legen diese Betroffenen ein atemberaubendes Tempo an den Tag, um wenigstens die schlimmsten Ausuferungen ihrer "Faulheit" zu beseitigen. Danach verfallen sie in erleichterte Erschöpfung. Und es dauert jedesmal länger, bis sie sich wieder aufraffen können, weil sie noch weniger Selbstvertrauen haben, und noch mehr Arbeit.
Diese Abwärtsspirale aus immer längeren Lethargie- und immer kürzeren Selbstausbeutungsphasen mit immer absurderen faulen Kompromissen und Selbstlügen enthält alle systemischen Merkmale eines Teufelskreises. Gewohnheitsmäßiges Aufschieben ist kein Zeit- und kein Organisationsproblem! Es ist ein Teufelskreis!
Hinweise auf Teufelskreise finden sich ganz oft in der Alltagssprache. Wenn du häufig etwas sagst wie:
"Hamsterrad", "Dauerstress", "Dauerfrust", "immer wieder, wenn...", "ausgelaugt", "schon tausend Mal", "Mund fusselig geredet/gegen die Wand predigen", "die alte Leier", "ewig", "endlos", "hilflos", "hoffnungslos", "sinn/zwecklos", "vergebene Liebesmüh", "für die Katz", "nie" (letzteres im Zusammenhang mit unerfüllten Wünschen) und ähnliche, oder wenn du etwas sagst wie: "Für andere habe ich immer gute Ratschläge parat, aber bei mir selbst haut es irgendwie nicht hin", dann sind das deutliche Hinweise, dass du in einem Teufelskreis gefangen bist, dass dir dein eigenes Gehirn, dein Mindset, die klare Sicht auf die Lösung deiner eigenen Probleme versperrt. Wenn man in einem Teufelskreis feststeckt, dann wiederholt - und verstärkt! - man immer wieder das, was aus der eigenen Perspektive das Richtige ist, (oder das einzige ist, was man glaubt, überhaupt tun zu können), obwohl es bisher nichts gebracht hat, und es dadurch vielleicht sogar immer schlimmer geworden ist. Solange man keine Alternative kennt, wiederholt man nur das Bekannte, und wenn das nicht funktioniert, denkt man, man habe es nicht "hart genug" probiert, weshalb man dann seine Standard-Verhaltensweise nicht grundlegend ändert, sondern verstärkt. Dadurch werden Teufelskreise nicht nur ewig fortgesetzt, sondern sie eskalieren.
Der Teufelskreis Antriebslosigkeit besteht nicht nur aus der Schwierigkeit anzufangen, sondern aus VIER Komponenten:
1. Aufschieben der Handlungsaufnahme aus Widerwille 2. Auf den letzten Drücker arbeiten - Selbstausbeutung 3. Bei der Erledigung der anstehenden Arbeiten mogeln/schummeln/pfuschen 4. Unzufriedenheit mit sich selbst/mit dem erreichten Ergebnis
-> Wachsender Widerwille -> länger aufschieben -> aus Zeitnot noch härter selbstausbeuten -> zwangsläufig schlimmer pfuschen -> noch unzufriedener werden -> noch widerwilliger werden...
. Man verstärkt das Aufschiebe-Verhalten (schiebt also immer länger auf), und muss sich dann noch härter selbst ausbeuten, um es in der kürzeren übrig gebliebenen Zeit noch schaffen zu können. Da das extrem unangenehm und quälend ist, schiebt man die unangenehme Aufgabe beim nächsten Mal noch länger vor sich her...und so weiter. Also immer länger aufschieben, immer härter selbst ausbeuten, immer schlimmer mogeln, immer unzufriedener werden. Eskalation.
Die meisten Betroffenen versuchen, diesen Teufelskreis an der immer gleichen Stelle zu durchbrechen - indem sie aufhören wollen, aufzuschieben. ("gleich ab morgen früh..."). Darüber treffen sie mit sich selbst unzählige Male eine Vereinbarung, die sie jedoch jedesmal wieder brechen - es wird doch wieder aufgeschoben. Jeder Bruch einer Vereinbarung führt zu einer Schwächung des Selbstvertrauens. Irgendwann weiß man sogar schon im Voraus, dass man sich sowieso wieder nicht daran halten wird, und verändert die Vereinbarung, z.B. indem man noch großzügiger plant - aber weil das eigene Gehirn bei dieser Planung anwesend ist, weiß es, dass die Planung großzügiger gestaltet wurde, also weiß es auch, dass man jetzt mehr Zeit zur Verfügung hat, die man aufschieben kann...
Wir brauchen also grundsätzlich veränderte Vereinbarungen, die so "fair und freundlich" formuliert werden, dass sie nicht mehr gebeugt oder gebrochen werden müssen, weil es anders gar nicht geht. Also nicht noch umfangreicher, sondern begrenzter. Nicht noch schneller, sondern langsamer. Nicht noch detaillierter, sondern gröber. Nicht noch länger, sondern viel kürzer. Und nicht "im Anschluss an das Angenehme", sondern "...und im Anschluss folgt das Angenehme".
Der größte Unterschied zwischen allen Betroffenen ist, dass sie zum einen in unterschiedlichen Phasen dieser Abwärtsspirale hier aufschlagen, und zum anderen, dass sie unterschiedlich intensiv wirkende negative Antriebsverstärker haben - von extrem (Hamsterrad) bis nichtexistent (totale Lethargie), und alle Abstufungen dazwischen von leicht überfordert, bis "dem Gefühl nach kurz vor dem Aufgeben". Egal, wo ihr also gerade in diesem Teufelskreis seid, ihr seid hier alle willkommen, denn weder muss man erst total abstürzen oder kollabieren, noch gibt es einen Zeitpunkt, an dem alles zu spät ist. Man muss nur für sich selbst herausfinden: Wo bin ich gerade, und was hilft bei mir am besten? Für jemanden, der bis zur Decke vermüllt ist, ergibt nicht dieselbe Hilfsmaßnahme Sinn wie für jemanden, der von seinem Perfektionismus gezwungen wird, bis tief in die Nacht die Fliesen im Bad zu polieren. Der eine muss Maßnahmen ergreifen, die ihn davor bewahren, immer mehr in die Antriebslosigkeit abzurutschen, und der andere muss Maßnahmen ergreifen, die ihn aus der Antriebslosigkeit herausführen. Aber beide sind im selben Teufelskreis gefangen.
Das Prinzip, wie wir angetrieben werden, das ist auch für alle dasselbe: Gute und schlechte Gründe. Positive und negative Antriebsfaktoren.
Wenn wir durch nichts anderes angetrieben werden als durch Druck, Angst und Scham, und wenn es keine (ausreichenden) guten Gründe für uns gibt, etwas zu tun, dann tun wir es nicht. Keiner von uns, kein einziger Mensch. Bis genau zu dem Moment, in dem Druck/Angst/Scham übermächtig werden. Deswegen scheint der Antrieb mit negativen Verstärkern eine Erfolgsstrategie zu sein. Druck, Angst und Scham "funktionieren", weil es ja schlussendlich zur Handlungsaufnahme kommt.
Darum glauben ganz viele Menschen, dass es richtig ist, andere durch Druck, Angst und Scham zu motivieren. Sie kennen es nicht anders, und sie haben gelernt, dass es funktioniert. Doch dieser Erfolg ist gar kein so großer Erfolg, weil vor jeder NEUEN Handlungsaufnahme MEHR Druck, Angst und Scham aufgewendet werden müssen, bevor sie abermals zustande kommt. Die Phasen zwischen den Handlungsaufnahmen dauern länger, bis sich wieder genug Druck/Angst/Scham aufgebaut haben, um erneut unerträglich zu werden - denn man wird ja resistenter dagegen - oder aber, die extrinsischen negativen Antriebsverstärker müssen sofort deutlich intensiver werden, also statt ein bisschen zu nörgeln muss beim nächsten Mal schon laut geschimpft werden.
Für diese Resistenz gibt es auch eine andere Formulierung: Bei Erwachsenen sagt man dazu "es baut sich innerer Widerstand oder Widerwille" auf. Bei Kindern nennt man es Trotz. Druck erzeugt Verhärtung, und gegen Angst und Scham kann man nicht nur abstumpfen, sondern sie sich auch ganz oft einfach vom Hals schaffen. Indem man z.B. keinen Besuch mehr einlädt, und irgendwann vielleicht gar nicht mehr die Tür aufmacht, wenns klingelt. Doch dadurch isoliert man sich nicht bloß von den negativen Antriebsverstärkern, die von den Mitmenschen ausgehen, sondern auch von den guten Dingen, die das menschliche Miteinander zu bieten hat. Man schafft sich nicht bloß etwas Lästiges vom Hals, sondern man beraubt sich auch eines Stückes Lebensfreude und Lebensqualität. Für manche Menschen käme der Schritt der "freiwilligen Selbstisolation" nicht in Frage. Aber für diejenigen, die aus dem Umgang mit anderen sowieso viel zu wenig oder gar keine Lebensqualität gewinnen können, ist dieser Schritt nicht bloß ein notwendiges Übel, sondern tatsächlich eine Erleichterung, und eine Verbesserung ihrer Lebensqualität. Statt sich weiter Vorwürfe anhören zu müssen, Stress gemacht zu bekommen, oder gar angeschrieen und beleidigt zu werden, beschränkt man Kontakte auf "außerhalb meiner Wohnung", reduziert die Häufigkeit von Treffen, bricht den Kontakt sogar ganz ab.
Solange es einfacher ist, negativen Antriebsverstärkern auszuweichen, als eine Handlung aufzunehmen, wird man lieber ausweichen. Erst wenn man nicht mehr ausweichen kann, wenn es nicht mehr anders geht, wird die Handlung "zuverlässig" aufgenommen. Und dann ist es zu spät, um es noch langsam und sorgfältig zu machen. Man muss sich selbst ausbeuten, um es noch irgendwie halbwegs zu schaffen. Dadurch hat man selbst nach stundenlanger Selbstausbeutung kein echtes Erfolgserlebnis. Man hat gepfuscht, um es zu erreichen, und man weiß, dass man gepfuscht hat.
Handwerker- oder Vermieter-Termine gehören zu den wenigen negativen extrinsischen Antriebsverstärkern, denen man kaum oder gar nicht ausweichen kann. Wenn du dich in diesem Verhaltensmuster wiedererkennst, dass du dich abstrampelst, wenn Besuch ansteht, oder wenn du Besuch schon mal abgesagt hast, damit du nicht aufräumen musstest, oder damit der dein Chaos nicht zu Gesicht bekommt, oder wenn du z.B. Nachtschichten einlegst, wenn ein Handwerkertermin ansteht, oder wenn du alles nur in Säcke und Kisten stopfst und irgendwo versteckst, oder Bereiche abschließt, damit dein Besuch sie nicht sehen kann - dann bedeutet das auf jeden Fall, dass du nicht krank bist, oder verrückt oder was auch immer. Bei dir "tickt" der Antrieb im Grunde ganz normal. Dir fehlt nur etwas.
Unsere Testfrage lautet: "Würdest du es tun, wenn man dir zehn Millionen Euro gäbe?", und wer ein Motivationsproblem hat, und kein gesundheitliches Problem, der sieht sich plötzlich trotz aller Wehwehchen, trotz der riesigen Aufgabe, die vor ihm liegt, schuften und schwitzen, Nachtschichten einlegen, und alle Hebel in Bewegung setzen, um die Aufgabe abzuschließen. Das ist der Beweis, dass es nicht wirklich ums "nicht können" geht, sondern nur ums "nicht wollen". Wenn es auf einmal einen starken, intensiven, guten Grund gibt, es zu tun - wenn es sich plötzlich LOHNT, es zu tun, dann haben wir plötzlich Antrieb. Wenn es sich nicht (mehr) lohnt, dann haben wir keinen. Bis der Heizungsableser kommt.
Das Transparenz-Paradoxon liefert uns den Beweis, dass negative Verstärker allein nur die Illusion von Erfolg bewirken. Kurzfristig bewirken ausreichend intensive negative Antriebsverstärker, dass die Handlung aufgenommen wird. Langfristig aber führt "chronische Unterbelohnung" dazu, dass unsere Leistungsbereitschaft abnimmt. "Chronische Unterbelohnung" ist nur eine andere Formulierung für fehlende positive Antriebsverstärker/Anreize/Motivation/Gründe, eine Handlung aufzunehmen.
Du bist chronisch unterbelohnt.
Das schreie ich dir an dieser Stelle entgegen, weil chronische Unterbelohnung immer die Ursache ist. Der Programmfehler ist, dass es erst eine Belohnung gibt, wenn "die Aufgabe" abgeschlossen ist. Kann man sie nicht zum Abschluss bringen, oder hat man nichts, durch das man sich genug belohnt fühlen würde, dann gibt es keinen guten Grund, mit einer Aufgabe anzufangen. Dann fängt man nur an, wenn man MUSS.
Unser Gegenangebot zu der nicht funktionierenden, extrinsisch-negativen Art, Antrieb zu erzeugen, ist daher die intrinsisch erzeugte, positive Motivation. Wir sind aber keine klassischen Motivations-Trainer, sonst würde der Betroffene lediglich die extrinsischen Antriebsfaktoren tauschen (auf uns angewiesen sein, statt auf andere Leute, und das soll auf keinen Fall passieren!). In unserem Selbsthilfeprogramm geht es darum, dass der Betroffene mit sich selbst Vereinbarungen (über Handlungsaufnahmen) zu treffen lernt, die er dann zuverlässig aufnimmt. Dieses Ziel nennen wir "Selbstbestimmung".
Ich bestimme, was ich mache. Ich bestimme, wann ich es mache. Ich bestimme, wie lange ich es mache. Ich bestimme, was ich dafür bekomme.
Wir benutzen dafür positive Antriebsverstärker, und zwar für den Anfang einfache, möglichst kostengünstige, sofort für jedermann verfügbare dingliche Belohnungen.
Die Abfolge von Leistung und Belohnung, die eigentlich "normal" sein sollte, wird geübt. Und wir üben, Aufgaben so zu formulieren, dass man sie immer erfolgreich abschließen kann - ohne mogeln zu müssen. Wenn man das eine Weile gemacht hat, werden neuronale Verknüpfungen gebildet, reaktiviert oder kommen häufiger zum Einsatz, die bewirken, dass Dopamin ausgeschüttet wird; das Glückshormon.
Das Dopamin ist es, das euch eigentlich fehlt, und es fehlt, weil ihr entweder gar keine Erfolgserlebnisse habt, oder weil diese Erfolgserlebnisse nicht ausreichen, um so viel Dopamin auszuschütten, dass es gegen das Adrenalin bzw Noradrenalin anstinken kann, das in euren Körpern derzeit das Sagen hat. Die wünschenswerte Verkettung lautet also:
Handlungsaufnahme, lieber klein, aber dafür 100% korrekt -> Erfolg -> Dopamin -> gutes Gefühl -> Ansporn, mehr Dopamin-Erlebnisse haben zu wollen -> erneute Handlungsaufnahme -> erneuter Erfolg -> Dopaminkick -> und so weiter
Dieses ganze Ding nennen wir "Antriebsreprogrammierung". Es wirkt also wie eine Umkehrspirale zu dem bisherigen Teufelskreis. Man kann nicht von jetzt auf gleich hinausspringen, aber man kann Umdrehung für Umdrehung wieder herauskommen.
Ihr dürft nicht erwarten, dass nach zwei, drei Versuchen schon spürbar Dopamin ausgeschüttet wird. So schnell geht das leider nicht. Das Gehirn braucht mindestens ein paar Tage, bis es das zuverlässig tut, und jeder "Bruch der neuen Regel" bringt es wieder durcheinander (sozusagen wieder eine halbe Umdrehung zurück). Und nicht zu vergessen, dass in den nächsten Tagen auch erst einmal z.B. Stresshormone abgebaut werden müssen.
Um es dabei zu unterstützen, sich in die gewünschte Richtung zu entwickeln, und um euch trotzdem bei der Stange zu halten, haben wir ja noch die ganzen anderen Hilfsmittel, zum Beispiel: Stress vermeiden durch unsere Schutzmaßnahmen gegen Selbstausbeutung. Denn dadurch vermeidet ihr die Produktion von noch mehr Adrenalin/Noradrenalin. Oder auch einen möglichst gleichbleibenden Schlaf-Wach-Rhythmus, leichte Bewegung und sinnvolle Ernährung empfehlen wir aus gutem Grund: Dadurch wird nämlich Serotonin gebildet. Wenn Dopamin das "Erfolgskick-Hormon" ist, dann ist Serotonin das "konstant-zufrieden"-Hormon, und wer von beidem zu wenig hat, der ist deshalb von Grund auf unzufriedener und unglücklicher, als er sein könnte, wenn er mehr von diesen Hormonen im Körper hätte. Deren Ausschüttung geschieht aber nicht willkürlich oder zufällig, sondern unter bestimmten Umständen. Die Grundidee der Antriebsreprogrammierung ist also, genau diese Umstände gezielt herbeizuführen - und zwar möglichst OFT und nicht möglichst "groß", denn wir wollen keine extremen Spitzen im Hormonhaushalt, sondern einfach nur weniger Stress, mehr "Grundzufriedenheit", besseren Schlaf/Energierückgewinnung, viele kleine Erfolgserlebnisse über den Tag verteilt. Klingt nicht schlecht, oder?
Das war jetzt vermutlich das komplizierteste Kapitel. Das Schöne ist, dass man sich das nicht alles merken muss. Die Erklärungen sollen dich überzeugen, dass das hier durchdacht ist, und Hand und Fuß hat, und dich somit auch davon überzeugen, es auszuprobieren. Jede einzelne Maßnahme, die wir empfehlen, hat einen bestimmten Sinn, und keine davon ist schädlich oder gefährlich. Nur eines muss an dieser Stelle gesagt werden: Dopaminkicks sind nichts anderes als das, was man erlebt, wenn man Drogen nimmt. Man kann danach süchtig werden, und dann wiederholt man immer wieder diese eine Sache, die den Dopaminkick hervorruft. Zwar wollen wir erreichen, dass Dopamin ausgeschüttet wird, aber wir wollen natürlich nicht, dass es bei euch nur durch eine einzige Sache hervorgerufen werden kann, also z.B. dadurch, dass man irgendwas putzt oder irgendwas entrümpelt. Denn man kann nach allem, wirklich nach allem süchtig werden - wenn man nur diese eine Sache kennt, durch die Dopamin ausgeschüttet wird, dann unternimmt man den schlimmsten Mist, und ich meine nicht nur Drogen, sondern auch so irres Zeug wie Lack trinken oder Kacke essen - wirklich, todernst, diese Fälle gibt es! - Hauptsache man bekommt seinen Kick.
Die allerbeste Maßnahme, die man ergreifen kann, um sich davor zu schützen, putz- oder entrümpel-"süchtig" zu werden, ist, dass man abwechslungsreich lebt, und sich eben auch abwechslungsreich belohnt. Viele verschiedene "Dopamin-Kick-Erzeuger" kennenlernen, statt nur einen oder zwei.
Wer mal ein bisschen spazieren geht, und mal ein bisschen malt, und mal Musik hört, und mal ein Buch liest, und mal etwas entrümpelt, und mal eine gemischte Obstplatte futtert, und mal einen Raum putzt, und mal eine Fußmassage machen lässt, und sich mal mit Freunden trifft, und mal ein Stück Schokolade isst, mal ein Glas Wein trinkt, mal in den Vergnügungspark geht, oder ins Kino, oder sich ein bisschen auf Facebook herumtreibt, und am Wochenende mal tanzen geht, und mal daheim bleibt und es sich mit Tee und Keksen gemütlich macht, der läuft am wenigsten Gefahr, nach irgendetwas davon einseitig süchtig zu werden. Der lebt - und genießt - einfach nur sein Leben.
Abwechslung ist das Zauberwort. Wenn ihr dem jetzt etwas ratlos gegenüber steht: Für den Anfang genügt es, wenn ihr überhaupt schon etwas habt, das ihr gern tut. Aber falls das nur eine Sache ist, oder zwei, dann belasst es nicht auf Dauer dabei. Probiert neue Dinge aus. Probiert verschiedene Dinge aus. Was ihr noch nicht kennt, kann noch nicht als Belohnung funktionieren. Aber wenn es angenehm war, Spaß gemacht hat, dann habt ihr euch um eine weitere Belohnung in eurem Repertoire bereichert. Neue Lebensmittel kommen genauso in Frage, wie neue Menschen, neue Orte, neue Sportarten, neue Sprachen, neue Hobbies, neue Rezepte, einmalige Erlebnisse. Probiert aus, wozu auch immer ihr die Gelegenheit bekommt. All diese unzähligen Dinge können positive Antriebsverstärker für euch werden. Gute Gründe morgens aufzustehen, gute Gründe sich mal wieder schick zu machen, gute Gründe seine Küche zu putzen, gute Gründe nicht zu versumpfen, und gute Gründe, aus dem Hamsterrad auszusteigen und zu sagen: "Ich bin nicht darauf angewiesen, dass mir mal jemand eine kleine Freundlichkeit für meine Aufopferung zukommen lässt - ich bestimme jetzt lieber selbst, was ich für meine Leistungen bekomme, und wann ich es bekomme!" All diese positiven Dinge, die ihr in euer Leben lasst, erzeugen und verstärken euren Antrieb. Ohne sie habt ihr keinen. Nicht mal den "negativen Antrieb", denn Druck, Angst und Scham heißen in der Fachwelt immer noch "Antriebsverstärker", aber in Wahrheit sind sie "Antriebsminderer".