4. Der "Süchtling" - Bevorzugte Belohnung ist problematisch - falsch belohnt -
An und für sich funktioniert bei diesem Betroffenen alles ganz normal. Es wird eine Vereinbarung über eine Handlungsaufnahme getroffen und umgesetzt. Die Belohnungen, die der Betroffene dann benutzt, wirken aber zum Beispiel suchtfördernd, die Müll-, Chaos- oder Messieproblematik vergrößernd, gesundheitsschädlich, oder verhindern die Errichtung einer normalen Tagesstruktur. (Zum Beispiel: Alkohol, Zigaretten, Kaufen, Süßigkeiten, aber auch "zwischendurch" dauernd schlafen) und bewirken dadurch möglicherweise zusätzliche Probleme, oder verstärken die vorhandenen.
Da er aber keine andere Form von Belohnung kennt, glaubt er, keine wirksame Alternative zu haben, um sich zu motivieren, und hält deshalb daran fest. Nimmt man ihm seine problematische Belohnung einfach nur weg (oder entscheidet er sich selbst, sie nicht mehr nutzen zu wollen), ohne ihm alternative, die Lebensqualität fördernde Belohnungskonzepte aufzuzeigen, mündet das im Regelfall nur in ähnliche, nicht minder problematische Belohnungen. Von der Alkoholsucht in die Kaufsucht zum Beispiel, oder von der Kaufsucht in die zwanghafte Mitnahme von Gratis-Papier aller Art. (Suchtverschiebung). In einem "späteren Stadium" dreht sich die Abwärtsspirale aus unverhältnismäßigem Konsum und Frustration immer schneller. (Teufelskreis) (häufige Mischform)
Typischer Satz: "Ich besitze fünfzehn Tonnen Klamotten, aber als ich vorhin meine vollgestopfte Bude gesehen habe, hat mich so der Frust gepackt, dass ich in die Stadt gefahren bin, und mir dreimal denselben Pullover gekauft habe, und jetzt hasse ich mich noch mehr." Oder: "...und dann musste ich mich erst mal wieder hinlegen."
Wichtigste Selbsthilfemaßnahme: Nicht verbieten/vermeiden, sondern ersetzen. Aber überlass es nicht dem "Zufall", durch was du deine problematische Belohnung ersetzt. Es gibt hierbei keinen Zufall. Dein Gehirn wird immer etwas haben wollen, das der bisherigen Belohnung so ähnlich wie möglich ist, weil es nichts anderes (mehr) kennt. Wähle gezielt sinnvolle Belohnungen aus, und benutze sie "einfach". Sage dir, dass dies eine bessere Belohnung ist. Erkläre es dir. Rufe dich dazu auf, sie zu genießen.
Es kann als erster Schritt versucht werden, die problematische Belohnung durch die Verknüpfung mit angemessenen Leistungen auf ein akzeptables Normalmaß zu reduzieren. "Statt 30 Lippenstiften einfach so kaufe ich mir nur einen - nachdem ich erfolgreich meinen Küchenschrank ausgemistet habe". Langfristig kann aber die bloße Reduktion einer problematischen Belohnung nicht ausreichen, da nur etwas weggenommen, aber keine Alternative hinzugefügt wird - man ist "chronisch unterbelohnt", und kehrt dadurch irgendwann entweder zu seinen gewohnten Belohnungen zurück (= Rückfall), oder benutzt eben solche Belohnungen, die den bisherigen ähnlich sind (Suchtverschiebung). Langfristig benötigt es eine Hinwendung zu sinnvollen, die Lebensqualität fördernden Belohnungen als Alternative zu der fehlgeleiteten, selbstzerstörerischen Belohnung, nach der man süchtig ist (die man sich also als Belohnung beigebracht hat) In diesem Fall ist es besonders hilfreich, sich zur Unterstützung für den Verzicht auf die problematische Belohnung neben der "normalen Leistungs-Belohnungs-Verhandlung" noch ausdrücklich gesondert zu belohnen. Also, wenn man zum Beispiel vor einer Kauf- oder Konsumentscheidung steht, mit sich zu verhandeln: "Wenn du das jetzt nicht kaufst, trinkst, isst, dich nicht ins Bett legst, den PC auslässt etc. bekommst du dafür eine bessere Belohnung" (was de facto "ersetzen" ist) - und diese Alternative soll eine gezielt verhandelte, die Lebensqualität fördernde, sofort verfügbare Belohnung sein. Die Aussicht auf ein "besseres Leben" genügt nicht. Das musst du so lange fortsetzen, wie es dir Mühe bereitet, auf deine problematische Belohnung zu verzichten. Wenn es dir nach zehn Jahren noch schwer fällt, zu einem angebotenen Bier "nein" zu sagen, keine Tabletten einzuwerfen, oder keine Sinnloskäufe zu tätigen, dann musst du dich auch nach zehn Jahren noch gesondert dafür belohnen, dass du das auch dieses Mal wieder geschafft hast. Normalerweise dauert es aber mit gezielten, sinnvollen Ersatzbelohnungen keine zehn Jahre, sondern geht sehr viel schneller. Du zwingst dich nicht mehr zu verzichten, sondern du bekommst dafür etwas Besseres. Nicht nur die eigentliche Belohnung ist dabei für dich wirksam, sondern auch die Verbesserung deiner Lebensqualität - und dadurch verzichtest du bald gern.
Bitte lies unbedingt unseren Guide "Die Lebensqualität fördernde Belohnungen" im Bereich Ernährung und Gesundheit, bevor du dich "irgendwie und spontan" belohnst.
Diese Selbsthilfemaßnahmen dürfen bitte nur als unterstützendes, zusätzliches HIlfsmittel betrachtet werden! Eine echte, existenziell bedrohliche Suchtproblematik - besonders, wenn abhängig machende Substanzen (Drogen, Alkohol, Medikamente) im Spiel sind - sollte immer mit Hilfe von Profis angegangen werden. Unsere Kenntnisse über Belohnungen können dabei Gold wert sein, um sich selbst zu einer wirksameren, sinnvollen Belohnung zu verhelfen, wenn die von den Profis vorgeschlagenen Behandlungsformen Belohnungen beinhalten, die euch nicht ansprechen oder ausreichen (oder wenn im Rahmen der therapeutischen Maßnahmen sogar überhaupt keine Belohnung/Ersatz/Alternativangebot für den Verzicht auf das Suchtmittel vorgesehen sind*).
Nutzen unsere Selbsthilfemaßnahmen nichts, empfiehlt sich entsprechend eine professionelle Suchttherapie.
*was meiner ganz persönlichen Laien-Meinung nach das klare Merkmal einer schlechten Therapieform wäre. Jedes Angebot sollte wenigstens irgendeine Form von Anerkennung, Lob, Bestätigung, Alternative, Plakette-für-drei-Monate-durchhalten, Sport oder sonst irgendwas beinhalten, auf das man den Gedankenansatz "dies soll eine Belohnung sein" anwenden kann. Das tun auch die allermeisten Suchttherapien, aber es gibt leider immer noch einzelne Ausnahmen, und bei fast allen Angeboten gibt es keine Variationen der Belohnung. Der Betroffene hat mit dem zufrieden zu sein, das angeboten wird - zum Beispiel Sport treiben. So lernt er es in der Reha, und so soll er es fortsetzen. Nimmt er das Angebot nicht an, kommen die Anbieter fatalerweise zu dem Schluss, es läge an ihm, etwa an der "Schwere seiner Abhängigkeit", und nicht an einem Kernpunkt des Therapiekonzepts - denn dieses hilft ja offensichtlich vielen Menschen. Nur halt leider nicht allen. Wären sich mehr Therapeuten bewusst, dass man an den Belohnungen individuell herumschrauben kann, könnte wahrscheinlich sehr viel mehr Menschen bei der Entwicklung von Strategien geholfen werden, die ihre persönlichen Lebensumstände verbessern, indem sie ihnen zum Beispiel helfen, ihre Süchte besser zu verstehen und ihnen entsprechend wirksamer entgegen zu steuern. Ich persönlich würde also von einer Therapieform die Finger lassen, die überhaupt keine positive Verstärkung für die erfolgreiche Abstinenz von der jeweiligen Sucht anbietet.
Man muss ausprobieren. Vom nachdenken, lesen und schreiben alleine passiert nichts.