6. Der "Drückeberger" - Beschäftigung mit den falschen Arbeiten - Kann sich seine Ängste/Überforderung nicht eingestehen -
Diese Betroffenen wursteln den lieben langen Tag an (für Außenstehende) vergleichsweise unwichtigen Dingen herum, die sie sich als Vorbedingung gesetzt haben, bevor sie andere, wichtigere Dinge in Angriff nehmen können. Für sie ist aber wichtig und unwichtig vertauscht. Sie halten das, was sie sich zu tun entschieden haben, immer für wichtiger als die spezielle(n) Aufgabe(n), die sie schon ewig aufschieben.
Sie belügen sich aber fast immer selbst, und zwar dahingehend, dass sie die aufgeschobenen Dinge gar nicht angehen wollen. Meistens, weil sie Angst davor haben, bzw. weil sie sich davon überfordert fühlen, oder weil sie sich vor Schmerzen und Erschöpfung scheuen, die sie damit verbinden - was sie aber nicht zugeben können. Nicht mal vor sich selbst. Darum darf auch die vorgeschobene Vorbedingungs-Aufgabe nie enden; ihr Unterbewusstsein steuert permanent dagegen, und greift nach jedem Strohhalm, um sich davon abzuhalten, schon diese zu beenden, denn dahinter lauert die Angst-Aufgabe. Sie sind hervorragend darin, die Nichterfüllung dessen, was sie sich vorgenommen haben, ungefragt vor anderen (und damit letztlich sich selbst) ausführlich zu begründen, und häufig auch, die Schuld dafür auf andere zu schieben (jedoch meist eher mit einem begründenden, als einem wertenden Charakter), was ihnen den Blick auf die wahren Ursachen, sich besagter Aufgabe nicht zu stellen, verwehrt - und damit auf die Lösung, sich mit den Gründen auseinander zu setzen, warum sie sich vor dieser speziellen Aufgabe (manchmal ist es auch eine wichtige Entscheidung) drücken, und stattdessen lieber etwas anderes machen. Drückeberger flüchten sich oft in Müdigkeit, Kopfschmerzen und andere Wehwehchen, die sich zu häufen beginnen, wenn die Angst-Handlung immer unvermeidbarer wird. Das wird oft mit "depressiven Schüben" erklärt; eventuell eingenommene Medikamente scheinen jedoch keine Wirkung zu haben, oder die Situation sogar zu verschlechtern.
Drückebergern fällt es unsagbar schwer, zu formulieren, was sie wollen oder nicht wollen. Die (Selbst)Täuschung erkennt man vor allem an der unpassenden Verwendung der Worte "müssen", "können" und "wollen". Drückeberger sagen: "Ich muss erst noch...", und meinen eigentlich: "Ich will lieber dies tun, als das andere" oder sie sagen: "Ich konnte nicht", und meinen: "Ich wollte nicht.". Wenn sie sagen "Ich wollte eigentlich", meinen sie meistens: "Eigentlich wollte ich nicht, das kann ich aber nicht zugeben."
Typischer Satz: "Ich wollte eigentlich den Kleiderschrank ausmisten, weil ich das endlich mal machen müsste, damit der Bereich frei wird, damit ich die Kartons da hin stellen kann, die momentan (=seit 4 Jahren) meinen Schreibtisch blockieren, wodurch ich meine Steuererklärung nicht machen kann, aber dann klingelte das Telefon, und ich musste noch unbedingt Kartoffeln für meine Tante kaufen. Als ich bei der Tante war, musste ich natürlich noch ein wenig mit der quatschen. Als ich dann wieder daheim, und gerade dabei war, das erste Fach durchzugucken, wurde mir auf einmal total schwindelig, und da habe ich mich sicherheitshalber hingelegt, und später wollte ich dann aufstehen, aber da hatte ich dann Kopfschmerzen, und als die Kopfschmerzen dann endlich weg waren, war es schon nach 18:00, und ab 18:00 schlafen die Kinder der Nachbarin, da konnte ich natürlich keinen Krach mehr machen, also wurde das heute wieder nix." Oder: "Ich müsste/sollte längst mal...aber ich finde nie die Zeit dafür." Oder: "Ich will ja, aber... Oder: (sitzt in Bergen von Chaos und Müll): "Ich sortiere diese Schachtel mit Schrauben! Also tu ich doch was!"
Drückeberger haben oft das Gefühl, dass sie über die Punkte in ihrem Leben nachgrübeln müssten, die ihrer Meinung nach schiefgelaufen sind oder derzeit schieflaufen - und wenn sie diese erst einmal fertig analysiert hätten, würde gewissermaßen der Knoten platzen. Wenn er das jedoch nicht tut, dann bedeutet das für sie, dass sie die Lösung doch noch immer nicht gefunden haben, und sie analysieren weiter und immer weiter. Die Grübelei ist dabei sogar häufig Mittel zum Zweck. Wer erst noch "fertig grübeln" muss, der kann derweil noch nicht mit der Angstaufgabe anfangen.
Auf Vorschläge, was man anders machen könnte, nehmen sich Drückeberger oft viel Zeit um zu erklären, warum diese Lösung für ihren speziellen Fall nicht in Frage kommt. Manchmal stehen Erklärzeit und die Zeit, die für die Erledigung der Aufgabe nötig gewesen wäre, in einem absurden Verhältnis (z.B. 5 Minuten Erklärung, warum man eine 2-Minuten-Aufgabe nicht gemacht hat).
Wichtigste Selbsthilfemaßnahmen:
- Angstaufgabe von den anderen isolieren und bewusst zurückstellen Wenn die Angstaufgabe(n) nicht isoliert werden können, dann gezielt solche Aufgaben aussuchen, die man als harmlos, mach- und abschließbar erkennt
- Angstaufgabe in besonders kleine Teilschritte zerlegen (minutenweise, einzelne Handgriffe) - Beschäftigung mit der Angstaufgabe strengstens zeitlich begrenzen - Angst reduzierende Atmosphäre erschaffen - lernen, auf den motivatorischen Wendepunkt zu vertrauen - die Möglichkeit, bestimmte Aufgaben zu delegieren im Hinterkopf behalten - lösungsorientiertes Denken üben - seine eigenen Tricks, wie man sich vor den Angstaufgaben drückt, durchschauen lernen - Jeden noch so winzigen Schritt, sich der Angstaufgabe zu stellen, großzügig belohnen
Belohne dich schon dafür, dass du eine Telefonnummer rausgesucht, oder dir ein Formular erst mal nur durchgelesen, Unterlagen zusammengetragen hast. Aber auch, dass du ein paar Schritte in den Keller runtergegangen bist, wenn du dich vor Dunkelheit oder Spinnen fürchtest, oder wenn du kurz an der Haustür gestanden hast, wenn du sonst nie das Haus verlässt, oder dass du mit leeren Händen in Richtung der Hausmülltonnen gegangen bist, wenn du Angst hast, dabei beobachtet zu werden. Wenn du Angst hast zu telefonieren, kannst du die Aufgabe vielleicht einem anderen Familienmitglied übertragen, oder wenn du Angst vor deinem Papierkram hast, genügt es vielleicht, diesen für den Anfang ohne die Absicht durchzugehen, noch zu erledigenden Papierkram auch tatsächlich zu erledigen - sondern im ersten Schritt nur Altpapier von Nicht-Altpapier zu trennen. Oder sogar erst mal nur alles Papier auf einen Haufen zu legen.
Nutzt diese Selbsthilfemaßnahme nichts, empfiehlt sich z.B. eine professionelle Konfrontationstherapie, aber in vielen Fällen besteht auch die Möglichkeit, sich gezielt nur für die einzelnen überfordernden Aufgaben Hilfe zu suchen - zum Beispiel Steuerberater, Wäscherei, Bügeldienst, Schuldnerberatung, Helfer für Gartenarbeit, Büro-Organisations-Fachkräfte etc, aber auch Freunde und Verwandte, die einem mal bei etwas helfen, wie etwa, den Wasserzähler abzulesen, oder den Keller zu entrümpeln, wenn man sich nicht in den Keller traut, und Ähnliches.
Wenn ihr euch private Helfer holen wollt, empfehle ich - mit dem Helfer genau zu besprechen, worin seine Hilfe bestehen soll - klare Regeln festzulegen, z.B., dass der Helfer nichts einfach so wegschmeißen darf - oder umgekehrt, dass der Helfer an deiner Stelle entscheiden soll, was weggeworfen wird... - den Helfer zu belohnen (durch Lob/Anerkennung/Dank...oder durch eine Art von Bezahlung, ob nun Geld, Sachleistungen oder Hilfe auf Gegenseitigkeit.)
Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Angst-Aufgabe(n) ganz gezielt und ausdrücklich für einen längeren Zeitraum links liegen zu lassen. Wenn Vorbedingungen erfüllt werden müssten - die ihrerseits nicht enden dürfen, um sich der Angst-Aufgabe nicht stellen zu müssen - kann man, nachdem man erkannt hat, dass man sich durch Sinnlosbeschäftigung gezielt abhält, die anderen Arbeiten eine nach der anderen zügig abhaken, und sich die Angst-Aufgaben ganz gezielt bis ganz zum Schluss aufzuheben. ("Kleine-Steine-Große-Steine"-Methode; das Gegenteil von "Eat that frog", der umgekehrten Methode, bei der man sich den größten Brocken zuerst vornimmt, um ihn hinter sich zu haben, und sich endlich entspannen zu können).
Wenn schließlich nur noch die Angstaufgaben übrig sind, sind tausende von zusätzlichen, kleinen Stressfaktoren weggefallen, und die Angst-Aufgaben wirken für sich alleine nicht mehr so überwältigend. Man hat dann schon geübt, harmlosere Aufgaben in kleinere Teilschritte zu erledigen. Man hat sich weitgehend umprogrammiert, und die Gewissheit erlangt, dass auf eine Leistung eine Belohnung erfolgen wird, und man hat durch die geschickte Formulierung seiner Aufgaben so viele "idiotensichere" Erfolge erlebt, dass genug Selbstvertrauen angehäuft wurde, um sich sagen zu können: "Ich habe jetzt schon so viel geschafft, da werde ich auch das noch schaffen!"
Bedauerlicherweise muss ich sagen, dass der Typ 6 der Typ ist, mit dem wir hier bislang die wenigsten Erfolge erzielen konnten. Ich gebe zwar nicht auf, aber ich denke, dass dieser Typ von allen am ehesten professionelle Hilfe braucht. Wenn du dich also als Typ 6 (oder Mischtyp mit starken Typ-6-Anteilen) identifizierst, und bemerkst, dass du mit Hilfe des Forums nicht weiterkommst, dann suche dir bitte professionelle Unterstützung (Konfrontationstherapie, Coaching...). Wir sind gerne bei der Suche behilflich, wenn wir können, aber von Ferne kann man jemanden meiner Erfahrung nach maximal zu einer selbst initiierten Densensibilisierung bewegen, nicht aber zu einer ausgewachsenen Konfrontationstherapie in Eigenregie.
Man muss ausprobieren. Vom nachdenken, lesen und schreiben alleine passiert nichts.